Hanns Eisler

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Hanns Eisler
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„Es ist Hanns Eislers letzte Reise: Im Januar 1962 erklingt seine große ‚Deutsche Sinfonie‘ in der englischen Erstaufführung in London. Die BBC überträgt das Werk des ‚Komponisten der Arbeiterklasse‘ landesweit, Eisler kommt mit Freunden aus der Exilzeit, Künstlern und jungen Musikern in einem Pub zusammen, er erzählt vom Widerstand gegen Nazideutschland, von seinem Lehrer Arnold Schönberg, vom Freund Bertolt Brecht. Für den jungen John Lennon, geboren im Kriegsjahr 1940, ist die Begegnung mit dem Komponisten des ‚anderen‘ Deutschland außerordentlich aufschlussreich. Er steht am Beginn einer Weltkarriere mit einer Band, den Beatles.“

Hanns Eisler ist ein (heimlicher) Popstar. Und das nicht nur in Thomas Freitags schöner Phantasie „Das Neue, so merkwürdig“, aus der obiges Zitat stammt. Für einen großen Teil des heutigen jungen Publikums mag Eislers Musik zunächst entweder abstrakt-anstrengend oder fremd-agitatorisch scheinen. Doch war der Komponist Teil und Ausdruck einer Welt im Umbruch – ohne lange Haare, aber mit allen Widersprüchlichkeiten und mit der Zukunft im Blick; die „halbe Welt“ sang seine Lieder.

Sinn – nicht Stimmung. Das kann ein Credo seiner politischen Kunst sein. Denn so hat er sie verstanden, gesellschaftsverändernd: „Ich versuche, mit den Mitteln der Musik etwas politische Intelligenz in den Menschen hineinzubringen. Ich weiß, daß das viele Leute nicht mögen, aber dann müssen sie sich eben ändern. Vielleicht auch durch die Mittel der Musik.“ (1961)

Von 1940 bis '42 führt Hanns Eisler – gefördert durch die Rockefeller Foundation – gemeinsam mit dem Philosophen Theodor W. Adorno das „Film Music Project“ durch. Die hieraus hervorgegangene Publikation „Komposition für den Film“ wurde zum Standardwerk und beeinflusst bis heute Filmemacher*innen und Filmkomponist*innen. Grundlage der darin entwickelten Theorie ist die Kritik an spätromantischen Kompositionstechniken, die vor allem in der Einflusssphäre Hollywoods zum Einsatz kamen. Nach Eisler soll die Neue Musik die Zuschauenden ohne klischierte Ausdrucksformen bannen und dem Film eine angemessene, zusätzliche Sinnebene verleihen. Der Filmmusik kommt in diesem Sinne eine eigene dramaturgische Funktion zu. Dabei fungiert sie nicht als „Dienerin“ des Visuellen, sondern ist von eigenständiger Bedeutung für den Film insgesamt. Sie soll in direkter Beziehung zum Bild stehen, jedoch nicht mit dem Ziel einer vorgeblichen Einheit, sondern eines antithetischen Verhältnisses. Denn die Untermalung des Bildes durch romantische Floskeln führe dazu – so Eisler –, dass die Musik hinter das Bild zurücktrete und in ihren klanglichen Nuancen kaum noch wahrnehmbar sei. Die Zuschauenden, so die Schlussfolgerung, würden im Interesse des Kommerzes manipuliert.

Eisler folgte seinen Prinzipien konsequent. Er arbeitete immer wieder mit namhaften Regisseuren wie Slatan Dudow, Joris Ivens, Victor Trivas oder Alain Resnais zusammen. Auch Erich Engel (der Regisseur Karl Valentins), Kurt Maetzig, Fritz Lang, Gustav Machatý oder Karl Grune gehören zu den Künstlern, die die Zusammenarbeit mit ihm schätzten. Parallel zur künstlerischen Stringenz ging in „seinem Leben (...) alles fließend ineinander über: sein Internationalismus und musikalischer Forscherdrang, der Wille, an allen Fronten des Klassenkampfes zu wirken, die daraus folgenden Repressalien und die kulturpolitischen Machtkämpfe im ‚eigenen Lager‘. Heute Academy Award-Nominierungen, morgen McCarthy-Opfer; heute Komponist der DDR-Nationalhymne, morgen ‚heimatloser Kosmopolit‘ und ‚Formalist‘ – zwei antisemitisch konnotierte Phrasen, die 1951/52 wiederholt in den DDR-Debatten um sein großes Opernprojekt Johann Faustus auftauchten.“ (Filmmuseum Wien zur Retrospektive 2013; Eisler entstammt einer jüdischen Familie und hat 1914 die Religionszugehörigkeit abgelegt.)

Geboren 1898 in Leipzig und aufgewachsen in Wien, später in (Ost-)Berlin beheimatet, blieb Hanns Eisler Zeit seines Lebens österreichischer Staatsbürger. Er hat in seinem Leben und Arbeiten totalitäre Gesellschaften jedweder Art ertragen, kommentiert, bekämpft.

Eisler zielte von Beginn an auf die breite Masse ab. Seine Musik richtete sich nicht in erster Linie an das bürgerliche Kulturmilieu, sondern sollte ihr Publikum auf der Straße finden. Der Tonfilm als Massenmedium kam ihm zu diesem Ziel gerade recht und bot ihm über vier Jahrzehnte hinweg die Möglichkeit, die ihm eigene stilistische Bandbreite anzuwenden. Entstanden sind über vierzig Filme: aus der BRD, Österreich, den Niederlanden, der Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und den USA; Kooperationen mit experimentellen Filmemachern, Dokumentarfilme, Hollywoodproduktionen, Koproduktionen des Fernsehens der DDR mit französischen Sendern, frühe Produktionen der DEFA und Werbefilme für US-Ölfirmen.

Den Kern unserer Reihe bilden Filmkompositionen aus dem Zeitraum von 1927 bis 1957 – dabei wird der Versuch unternommen das Schaffen Eislers in seiner großen filmästhetischen Breite, aber auch seinen wirtschaftlichen Zwängen abzubilden. Erweitert wird dieser Kern durch Filme weiterer Filmemacher*innen und Komponisten, die Eislers filmmusikalische Grundsätze nach seinem Tod aufnahmen. Die Auswahl illustriert, in welch weitem Umfang Eislers kompositorischer und theoretischer Ansatz in das moderne Kino strahlt.

Eine Veranstaltungsreihe von Cinémathèque Leipzig e.V. in Kooperation mit Eisler-Haus Leipzig e.V., unterstützt durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Leipzig und die Hanns und Steffy Eisler Stiftung.

Kuration:  Sven Wörner, (mit tatkräftiger Unterstützung durch Vera Ohlendorf, Bettina Weil und Steffen Schleiermacher)

 

naTo
03.11.–12.11.2020

Alle Programmpunkte der Reihe: