Utopia - Das Richtige im Falschen
UNAUFHÖRLICHER ANFANG
Gibt es eine Zukunft der Utopie im Film?
Vor der Frage nach dem Verhältnis Film/Utopie muss die Frage nach der Utopie selbst stehen:
Utopien sind nicht die Verweltlichung von Paradiesen. Dennoch teilen sie – gemeinhin – mit diesen ein imaginiertes Dasein "para dies", nach den Tagen (des jetzigen, respektive irdischen Lebens). Und so findet die Verortung von Utopien im alltäglichen Gebrauch auch in jenseitigen Sphären, ersatzweise auf fernen Inseln und an fiktiven Orten statt. οὐτοπία, utopía, der Nicht-Ort, ist das "Land hinter dem Griesbreihügel" (Rolf Schwendter, "Utopie – Überlegungen zu einem zeitlosen Begriff"), das in seiner häufigsten Verwendung eine unerreichbar ferne, ideale Gesellschaft verkörpert.
Die Ahnenreihe ihrer Beschreibungen – von Platons „Politeia“ über Thomas Morus Buch „Utopia“ (der den Begriff damit 1516 erfand) bis zum Früh-Genossenschaftler Robert Owen am Beginn des 19. Jahrhunderts (um nur grob eine Linie zu markieren) – ist geprägt von einer technokratischen, diktatorischen Wesensart, die von heutigen Vorstellungen eines emanzipierten, paritätischen Lebens weit entfernt ist.
Ende des 18. Jahrhunderts finden mit Olympe de Gouges oder Mary Woolstonecraft (übrigens die Mutter der Schöpferin des modernen Prometheus Frankenstein, Mary Shelley) Gender-Überlegungen Eingang in die Utopie und nicht viel später kommt die Utopie selbst in machbarer und erfahrbarer Alltäglichkeit an (zum Beispiel Ernst Blochs Begriff der "konkreten Utopie" oder p.m.'s Buch „bolo'bolo“ von 1983).
Diese Entwicklung scheint am so genannten utopischen Film vorbei gegangen zu sein. Bei Betrachtung einschlägiger Titel wie SHANGRI LA, THINGS TO COME, STAR WARS, AELITA, BLADE RUNNER, 1984, ZARDOZ, IM STAUB DER STERNE usw. zeigen sie sich mit unverkennbar dystopischem, anti-utopischem Charakter, bestenfalls wiederholen sie Motive von Platon und folgenden. Allenfalls bleiben sie Science-Fiction, der sich an der bürgerlich-kapitalistischen Welt verschluckt und – in Schockstarre – düstere Szenarien malt.
"Die Utopie liegt in der Zukunft: das »nirgendwo« ist ein Land, das noch nicht da ist, aber durch unser Handeln realisiert werden soll. Unser Handeln hingegen kann nur im Hier und Heute stattfinden und muss an den vorgefundenen Bedingungen anknüpfen." (Raul Zelik, Elmar Altvater, „Die Vermessung der Utopie“)
Film steht nicht außerhalb von Gesellschaft, in sofern er nur seinen eigenen gesellschaftlichen und kulturellen Rahmen widerspiegeln kann. Zwar ist filmische Vorstellung in der Lage auf einer technischen Ebene zu visualisieren was nicht existiert, doch eben nur in vorgenanntem Zwang. Es gilt also zu erkennen, ob ein Film nur vorgibt utopisch zu sein, in Wirklichkeit aber lediglich die Reifröcke seiner Geschichte durch Raumanzüge austauscht.
Utopische Filme müssen sich daran messen lassen, inwiefern sie Gegenwärtiges kritisch hinterfragen und alternatives Handeln systemisch aufzeigen. Gelingt es ihnen nicht, die den Menschen strukturierenden Kräfte zu erkennen, zu analysieren, Alternativen zu Ende zu denken, bleiben sie oberflächlicher Ästhetik verhaftet. Um das Wesen einer formulierten Utopie zu erfassen, ist es auch unabdingbar, sich darüber klar zu werden, welche zeitgeschichtliche Perspektive in den Personen der Autorenschaft (von der Regie über das Buch bis zur Produktion) wirkt. Kurz, inwieweit die Frage "Ist die Welt veränderbar oder ist sie es nicht?" beantwortet wird. Und sie verändert sich, wie wir wissen, durch das Handeln von Menschen.
Das denkbare, sagbare, machbare verändern
Wenn diese Maßstäbe an unser tägliches handeln angelegt werden, zeigt sich, dass die Grenzen, die ein Heute von einem utopischen Morgen trennen nicht existieren. Denn das Heute ist das Loch, durch das die Machbarkeit in die Utopie schlüpft...
Das Programm von Utopia ist also auch der Versuch, einen Ansatz für einen konkreten Begriff des utopischen Films zu geben.
Wie aber sieht dann utopischer Film aus? Unsere Reihe wird es zeigen. Und sie wird darstellen, dass es durchaus eine Zukunft der Utopie im Film gibt – weil es eine Zukunft der Utopie in der Gesellschaft gibt.